Der wichtigste Leitsatz im filmischen Erzählen – zeig’s, anstatt es zu sagen
Wenn mir jemand etwas erzählt, höre ich entweder aufmerksam zu oder drifte ab. Das hat zum einen mit dem Thema zu tun. Jeder Mensch hat natürliche Neigungen und Abneigungen. Ob ich etwas spannend finde oder nicht, wird zumindest teilweise durch meine persönlichen Neigungen bestimmt.
ABER: Wenn ein Thema so aufbereitet wird, dass es mich auf emotionaler Ebene packt – dann kann ich selbst Dinge plötzlich unglaublich faszinierend finden, für die ich mich sonst wenig interessiere. Logisch – sonst würde Marketing schlichtweg nicht funktionieren.
Es geht also beim Wecken von Interesse nicht nur um das WAS, sondern vor allem um das WIE. Und hier kommt show don’t tell ins Spiel: Zeig’s, anstatt es zu sagen.
Im Film bzw. Drehbuch wird dieser Leitsatz großgeschrieben. Dasselbe gilt für Unterhaltungsliteratur (im besten Sinne). Und bevor wir jetzt den großen Bogen zum Thema Weiterbildungen schlagen, gucken wir uns an, wo, wie und vor allem warum dieser Grundsatz verwendet wird.
Wie funktioniert show don’t tell?
Wenn du in der Schule aufgepasst hast, weißt du vielleicht noch, dass es drei große Gattungen der Literatur gibt: Lyrik (Gedichte), Epik (erzählende Literatur) und Drama (darstellende Literatur). Das Drama, also Theaterstücke, Film und Co., kommt dem Prinzip des show don’t tell am nächsten, weil es eben wirklich etwas zeigt – auf einer Bühne, mit Schauspieler:innen und echtem Publikum. Wenn du dir den Text zu einem solchen Stück anguckst, dann besteht der (normalerweise) nur aus Dialog und Regieanweisungen – ohne erläuternde oder bewertende Erzähler:innen, die das Geschehen für uns einordnen und analysieren.
Und genau darin liegt der große Reiz des szenischen Schreibens: Wenn wir etwas sehen, anstatt nur davon zu hören, dann berührt es uns unmittelbar. Es gibt keine ordnende Distanz zwischen mir und der Geschichte – und deshalb habe ich selbst größtmöglichen Interpretationsspielraum. Genau dieser Interpretationsspielraum macht eine Geschichte besonders spannend. Egal, ob live auf der Bühne, in einem Buch, im Film – oder eben in Learning Experiences.
Show don’t tell ist nämlich nicht auf das szenische Schreiben beschränkt. Ich kann auch eine „normale“ Buchszene schreiben und show don’t tell darauf anwenden. Oder ich stehe als Speaker:in auf einer Bühne und erzähle eine Geschichte – aber statt 100 rhetorische Techniken zu verwenden, widme ich mich eben dem einen großen Prinzip: zeigen statt sagen. Aber was heißt das jetzt genau?
Ein Beispiel:
Ich erzähle dir von meinem Arbeitstag. Das kann ich auf zwei Arten tun:
1. Heute bin ich zu spät aufgestanden. Ich habe mich darüber geärgert. Danach habe ich mir einen Kaffee gemacht und dann die zweite Bahn genommen, weil ich die erste verpasst habe. Zudem verbrannte ich mich an dem heißen Kaffee. Ins Büro kam ich also zehn Minuten zu spät, doch außer mir war niemand da. Ich wunderte mich darüber. Trotzdem fing ich erst einmal an zu arbeiten. Bis mir auffiel, dass Sonntag war. Ich ärgerte mich wieder sehr. Wie hatte ich das nur vergessen können?
Das ist ein klassischer erzählender Text. Verständlich, easy zu lesen, unspektakulär. ODER – ich wähle eine andere Erzählweise, und zwar so:
Als ich aus dem Bett plumpste, war es es schon 10 nach 8. Ach, du sch…, dachte ich, warum hat mein Wecker nicht geklingelt? Ich brauste in die Küche, schmiss die Kaffeemaschine an und sprang unter die Dusche. Mit dem Kaffee in der Hand rannte ich zur Bahn. Die heiße Suppe schwappte über, direkt auf meinen Finger, und ich fing an zu fluchen und wie wild zu pusten, während ich weiter Richtung Bahn hechtete. Doch zu spät – ich sah nur noch, wie die Türen zuschlugen und die Bahn davonfuhr. Außer Atem blieb ich stehen. Dieser Tag konnte nicht schlimmer werden. Dachte ich. Doch ich sollte mich geirrt haben. Als ich im Büro ankam, war der Raum menschenleer. Kein Mucks war zu hören. Nur die Kaffeeflecken auf dem Tisch neben mir zeugten davon, dass da normalerweise mein Kollege saß und vor sich hin kleckerte. Nervös fuhr ich meinen Rechner hoch, setzte mich und fing an zu arbeiten. Wo waren bloß alle? Normalerweise war ich montags immer der Letzte … Montags … Montags? Mein Blick fiel nach unten rechts auf den Bildschirm. „Verdammt!“, rief ich in die Stille. Auf der Datumsanzeige stand Sonntag. Sonntag! Deshalb hatte mein Wecker nicht geklingelt …
Wir sind uns einig, oder? Der zweite Text ist um Klassen interessanter. Woran liegt das? (Keine Sorge, wir machen hier jetzt keine Literaturtheorie. Es gibt nämlich eine ganze Menge Dinge, die man sich unter dem Aspekt angucken könnte.) Wir fokussieren uns auf einen Aspekt: show don’t tell.
Du kannst sagen: Ich habe mich darüber geärgert.
Oder du kannst sagen: Ach, du sch…, dachte ich, warum hat mein Wecker nicht geklingelt?
Beides bedeutet dasselbe: Jemand ärgert sich darüber, dass sie:er zu spät aus dem Bett gekommen ist. Trotzdem nimmt uns der zweite Text emotional stärker mit. Und das hat einen guten Grund: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Wenn jemand flucht, dann wissen wir, dass die Person sich ärgert. Wir brauchen niemanden, der uns das erklärt. Wir sehen es einfach.
Noch deutlicher wird das Prinzip show don’t tell hier:
Zudem verbrannte ich mich an dem heißen Kaffee.
Oder eben: Die heiße Suppe schwappte über, direkt auf meinen Finger, und ich fing an zu fluchen und wie wild zu pusten, während ich weiter Richtung Bahn hechtete.
Warum ist der zweite Satz emotionaler? Weil er nicht nur sagt, dass sich jemand am heißen Kaffee verbrennt, sondern auch wie. In Bildern, die eine Geschichte formen. Mit Bewegung und Spannungsbogen.
Und noch ein drittes Beispiel, damit es ganz deutlich wird:
Bis mir auffiel, dass Sonntag war. Ich ärgerte mich wieder sehr. Wie hatte ich das nur vergessen können?
Oder: Mein Blick fiel nach unten rechts auf den Bildschirm. „Verdammt!“, fluchte ich in die Stille. Auf der Datumsanzeige stand Sonntag. Sonntag! Deshalb hatte mein Wecker nicht geklingelt …
Was ist der Unterschied? Vor allem eins: Beispiel 1 spricht davon, dass etwas „auffällt“, nämlich, dass Sonntag ist. Beispiel 2 zeigt konkret, wie es auffällt – und zwar in einer chronologischen Abfolge aus den Augen der Hauptfigur: Sie guckt auf den Bildschirm und die Datumsanzeige zeigt „Sonntag“ an. Durch dieses situative Zeigen können wir der Geschichte viel besser folgen und bekommen eine Extraportion Spannung geliefert: Wir folgen dem Blick auf den Bildschirm. Und fragen uns: Was steht denn dort? Und weil wir die Antwort natürlich unbedingt wissen wollen, lesen wir weiter. Wir sind gehookt!
Drei Gründe, warum show don’t tell im eLearning Gold wert ist
So weit, so Literaturwissenschaft. Wie können wir das Geheimnis von show don’t tell jetzt auf (vor allem) digitale Weiterbildungen übertragen? – Indem wir uns angucken, welche Vorteile es uns dafür bringt:
1. Show don’t tell bietet eigenen Interpretationsspielraum und Aha-Momente im Lernen
Hatten wir oben schon angemerkt, kann aber nicht oft genug gesagt werden. Wir Menschen sind Abenteurer:innen und Entdecker:innen. Wir wollen selbst Dinge herausfinden, entschlüsseln und enträtseln. Denn dadurch erleben wir Aha-Momente, die uns eine besondere Befriedigung verschaffen. Das ist die allerbeste Basis für eine funktionierende Learning Experience.
2. Show don’t tell spricht Emotionen an und motiviert zum Lernen
Wenn wir lernen, dann funktioniert das am besten über Emotionen. Natürlich brauchen wir auch die ratio, um Informationen zu verarbeiten und analytisch an Sachverhalte heranzugehen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn wenn ich nicht im Mindesten emotional an einem Thema interessiert bin, ist meine Lernmotivation n gering. Mit show don’t tell schaffen wir es, Emotionen selbst für dröge Themen zu wecken und das Interesse zu steigern. Das ist vor allem dann wichtig, wenn eigenständig gelernt werden soll, was ja bei digitalen Lernangeboten der Fall ist.
3. Mit Show don’t tell ist Lernerfolg nachhaltig
Im Internet kursieren teils abstruse Zahlen dazu, um wie viel besser visuelle Inhalte im Gedächtnis haften. Ob die alle so stimmen, ist aber gar nicht die Frage. Die Frage ist vielmehr: Was hilft mir, Dinge besser zu verstehen und sie mir zu merken? Eine Abfolge von Zahlen und Fakten mit vorgekauten Problemlösungen oder eine Geschichte, die mich Lösungswege selbst entdecken lässt … Die Antwort ist selbsterklärend.
Show don’t tell im eLearning – wie funktioniert‘s?
Spätestens nach diesem Artikel bist du natürlich überzeugt, dass show don’t tell genau das Richtige für eure Weiterbildungen ist. Schließlich suchst du nach einem Lernangebot, das die Initiative anregt, zum Lernen motiviert und nachhaltig Erfolg verzeichnet. Die Frage lautet nun: Wie kann man das umsetzen? Dafür gibt es zahlreiche Wege, zum Beispiel:
- Erklärvideos auf Wow-Niveau: Auch wenn hier „erklärt“ wird, darf und sollte natürlich das show im Vordergrund stehen. Zum Beispiel mittels einer Figur, der wir durch bestimmte Situationen folgen.
- Gamification: Nichts folgt dem Prinzip show don’t tell besser als Games und interaktive Elemente. Wenn wir Lernenden selbst direkt gefragt sind, z. B. um Rätsel zu lösen, ist der Aha-Moment am größten.
- Konkrete Beispiele: Egal, welches eLearning-Format (Film, Grafik, Text) angesagt ist – konkrete Beispiele, die Lernenden vertraut sind, helfen immer dabei, aus einer abstrakten tell-Situation eine show-Show zu machen.
- Infografiken: Ansprechende Grafiken, die Abstraktes vereinfachen und greifbar machen, lassen sich im weitesten Sinne auch dem Prinzip show don’t tell zuordnen. Hier geht’s darum, komplexe Sachverhalte einfach und verdichtet sichtbar zu machen.
- Rollenspiele: Im klassischen eLearning mit individuell abrufbaren Inhalten so nicht umsetzbar, aber in digitalen Seminaren durchaus – in Rollenspielen, z. B. als Kund:in, Verkäufer:in und Lieferant:in, können wir die Perspektive wechseln und selbst erfahren, wie diverse Gruppen in bestimmten Situationen reagieren. So entwickeln wir unser eigenes show in Bezug auf konkrete Arbeitssituationen und vertiefen unser Verständnis dafür auf mehreren Ebenen.
Show don’t tell – für jede Weiterbildung geeignet?
Du kannst es dir denken: Wir sind show-don’t-tell-Fans und bringen das Prinzip gerne in unseren Weiterbildungen zur Anwendung. Aber: Es geht auch anders. Nicht für jedes Thema, jedes Learning-Produkt, jede Zielgruppe ist show don’t tell sinnvoll. Wenn es um kleine Lerneinheiten geht, die leicht verdaulich sind, spricht auch nichts gegen einen klassischen Infotext. Es kommt eben immer drauf an, worum es geht, was das Lernziel ist und welche Zielgruppe lernt. Deswegen arbeiten wir bei SAPERED nicht mit dem einen großen Prinzip, sondern bilden uns selbst laufend weiter, damit wir unseren Kund:innen immer genau die Learning Experience bieten können, die ihre Belegschaft gerade braucht: individuell, spannend und nachhaltig.
Findest du gut? Dann lass uns gerne miteinander reden. Klick dich durch unser Portfolio und schau dir an, wem wir schon bei der Gestaltung einzigartiger Trainings helfen konnten, oder meld dich direkt an für deine kostenlose Beratung – wir freuen uns drauf!